Spacer

Der Bund - 17. Juli 2008

Die Stradivari klingt - und wie!

Musikfestwoche Sie haben gesägt, gefeilt, gebohrt, geleimt, geschmirgelt - fünf Tage lang. Und fünf Tage lang konnte man mitfiebern, wenn das Schweizer Fernsehen in der Sendung "Schweiz aktuell" von den Fortschritten in der Geigenbauschule Brienz berichtete:
Fünf Geigenbauer aus England, Deutschland, Italien und der Schweiz haben im Rahmen der Musikfestwoche Meiringen in fünf Tagen gemeinsam eine Geige gebaut (siehe «Der kleine Bund» vom 12. Juli). 

«Das schaffen wir», hatte Hans Rudolf Hösli, der Leiter der Geigenbauschule Brienz, versprochen. Er versprach nicht zu viel. Nachdem die Geige in der Werkstatt in Brienz ihren klangvollen «ersten Schrei» getan hatte, wurde sie einen Tag später in einem fulminanten Solorezital in der Michaelskirche Meiringen aus der Taufe gehoben. Die Ehre fiel dem Thuner Geiger Alexandre Dubach zu: Der Paganini-Spezialist schonte das Instrument nicht.

Dass die Stradivari etwas bleich aussah, lag nicht an der Aufregung - Geigen kennen kein Lampenfieber. Der Grund lag vielmehr darin, dass das kostbare Klangwerkzeug noch nicht lackiert werden konnte. Bis zu sieben Lackschichten soll es erhalten, der Trocknungsprozess wird mehrere Monate dauern.

"Auf Anhieb verliebt"

Das fehlende Lackkostüm beeinträchtigte die Brillanz des Klangs keineswegs: Mit stupender Leichtigkeit, Differenziertheit (wundervolle Pianissimi) und Expressivität verhalf der Solist der blutjungen Stradivari zum ersten grossen Auftritt: Das Publikum erlebte das Aufblühen eines hervorragend ansprechenden Instruments, in dessen modulationsfähigen Klang sich Dubach, wie er sagte, auf Anhieb verliebt habe.

Er eröffnete sein Rezital mit J. S. Bachs geradezu monumentaler Ciacona aus der Partita 2, d-Moll, spielte sich souverän durch eine Auswahl der mit Tremoli und technischen Tücken gespickten Capricci von Nicolo Paganini, begeisterte mit einem Arrangement von Brahms' Alphornmotiv (aus der 1. Sinfonie) sowie den halsbrecherischen Variationen über das irische Volkslied «The Last Rose of Summer» von Heinrich W. Ernst.

Eine Schöpfungsgeschichte

Die Stradivari klang so beseelt und perfekt, als ob ihre Erbauer mit dem Stimmstock (auf französisch «I1iime», die Seele) auch gleich die Software für das virtuose Spiel in den Korpus eingebaut hätten. Dass dem nicht so war, davon konnte sich das Publikum in der Michaelskirche im Dokumentarfilms «Sichtbar hörbar» des renommierten Kameramanns Christoph Frutiger überzeugen. Seine Impressionen des Klangwunders von Brienz beginnen beim Fällen des Klangholz-Baums und führen, selbstredend begleitet von den Arbeitsgeräuschen, zum fertigen Instrument - eine berührende kleine Schöpfungsgeschichte. (mks)

anmelden